Geheimnis gelüftet: Wie der Crystal Palace in Rekordzeit entstand

Von Dominik Hochwarth

Der Crystal Palace war das Highlight der Weltausstellung 1851 in London. Das technische Wunderwerk war damals nicht nur das größte Gebäude der Welt. Die modulare Bauweise ermöglichte es zudem, den „Kristallpalast“ in nur 17 Wochen zu errichten. Doch wie war das möglich? Neue Forschungen haben das Geheimnis gelüftet: Die Verwendung genormter Schrauben und Muttern spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Crystal Palace from the northeast from Dickinsons Comprehensive Pictures of the Great Exhibition of 1851
Der ursprüngliche Crystal Palace im Hyde Park. Kolorierte Lithografie der Gebrüder Dickinson, 1851. Foto: gemeinfrei

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Die Geburtsstunde des Crystal Palace

1849 beschloss eine Gruppe britischer Industrieller und Bankiers, eine Weltausstellung zu veranstalten. Ziel war es, die herausragende Qualität britischer Produkte im internationalen Vergleich zu präsentieren. Die Organisatoren stellten jedoch hohe Anforderungen an das geplante Ausstellungsgebäude: Es sollte schnell zu errichten, leicht zu demontieren und in der Lage sein, den vorhandenen Baumbestand im Hyde Park zu erhalten. Das Budget war auf 100.000 Pfund Sterling begrenzt, was die Herausforderung zusätzlich erschwerte.

Der erste Wettbewerb brachte 233 Entwürfe hervor, von denen keiner das Budget einhalten konnte. Zwei Entwürfe stachen hervor, aber auch sie scheiterten an den Kosten. Schließlich wurde Joseph Paxton, ein erfahrener Gartenarchitekt, gebeten, einen neuen Entwurf vorzulegen.

Joseph Paxton und die modulare Bauweise

Paxton war vor allem für seine Arbeit an Gewächshäusern bekannt und damit die perfekte Wahl für das neue Projekt. Sein Entwurf sah eine riesige Halle aus Glas und Gusseisen vor, die in Modulbauweise schnell errichtet werden konnte. Die Basis des Gebäudes bildeten vorgefertigte Baueinheiten, die einfach zusammengesetzt werden konnten. Durch diese innovative Bauweise konnte das Gebäude in nur 17 Wochen errichtet werden.

Am 26. September 1850 wurde die erste Säule des Crystal Palace errichtet. Bereits nach nur vier Monaten war die Fläche im südlichen Teil des Hyde Parks, die etwa 560 mal 137 Meter maß, vollständig bebaut. Damit war der Kristallpalast der damals größte Bau der Welt. Die St. Pauls Cathedral hätte dreimal in den Riesenbau hineingepasst, der ohne tragendes Mauerwerk auskam.

Für den Bau wurden insgesamt 83.600 Quadratmeter Glas, 372 Dachbinder, 38 Kilometer Kehlprofile, 330 Kilometer Glasrahmen und 17.000 Kubikmeter Holz verbaut. Dank eines erhöhten Tonnendachs konnten die majestätischen Ulmen im Hyde Park erhalten bleiben. Paxton ließ sich bei der Gestaltung des Daches von der Amazonas-Riesenseerose inspirieren, die er als Gartenarchitekt erfolgreich gezüchtet hatte.

Warum konnte so schnell gebaut werden?

Die kurze Bauzeit allein mit der Modulbauweise zu erklären, greift jedoch zu kurz. Britische Forschende fanden nun heraus, dass ein anderes Detail entscheidend war: die Verwendung von genormten Schrauben und Muttern. Diese kleinen, aber wichtigen Bauteile ermöglichten es, die vorgefertigten Module schnell und effizient miteinander zu verbinden. Mehr als 30.000 Schrauben und Muttern wurden im Crystal Palace verbaut.

Vor dem Bau des Crystal Palace wurden Schrauben in der Regel von Handwerkern einzeln angefertigt. Jede Schraube war ein Unikat und passte nur auf eine bestimmte Mutter. Das machte die Montage umständlich und fehleranfällig. Der britische Ingenieur Joseph Whitworth entwickelte 1841 ein genormtes Gewinde, das als British Standard Whitworth bekannt wurde. Dieser Standard ermöglichte es, Schrauben und Muttern maschinell herzustellen und in großen Mengen zu produzieren.

Die Bedeutung der Schrauben

Bis heute war unklar, ob beim Bau des Crystal Palace tatsächlich genormte Schrauben verwendet wurden. Die meisten baulichen Überreste wurden 1936 bei einem Brand zerstört. Einige Überreste, darunter Säulen und Muttern, konnten jedoch in den 1980er Jahren geborgen werden. Bei der Untersuchung dieser Funde stießen die Forschenden auf einen vollständig erhaltenen Schraubbolzen. Die Analyse ergab, dass dieser Bolzen dem Whitworth-Standard entsprach. Damit war der Crystal Palace wahrscheinlich das erste große Bauwerk, das mit standardisierten Schrauben und Muttern errichtet wurde.

Diese Entdeckung erklärt, warum der Bau des Crystal Palace in so kurzer Zeit möglich war. Die Verwendung standardisierter Bauteile verkürzte die Montagezeit erheblich.

Der Kristallpalast: ein Monument der Ingenieurskunst

Nach der Weltausstellung wurde der Crystal Palace abgebaut und an anderer Stelle in London wieder aufgebaut. Viele Jahre lang diente er als Zentrum für Ausstellungen, Konzerte und Veranstaltungen. Tragischerweise brannte das Gebäude 1936 vollständig nieder. Seine Überreste erinnern heute an eine Zeit, in der der Fortschritt der Ingenieurwissenschaften neue Maßstäbe setzte.

Der Crystal Palace war nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch ein Symbol der industriellen Revolution. Er zeigte, wie technische Innovationen – von der Modulbauweise bis zur genormten Schraube – die Welt des Bauens revolutionierten. Der Erfolg des Crystal Palace inspirierte viele weitere Bauten und setzte neue Maßstäbe für die Architektur des 19. Jahrhunderts.

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